S 795 - Flavour of India

Zugegeben, der Name klingt bei Weitem nicht so klangvoll wie „Bourbon“, „Tipica“, „Caturra“, „Maragogype“, „Gesha“ und die vielen anderen Kaffeevarietäten mit echten Namen.

Die Varietät teilt ihr Schicksal mit weiteren S-Linien (S 288, S 26, S 333), N-Linien (N 39), SLN-Linien (SLN 274) oder SL-Linien (SL 28, SL 34). Irgendwie klingen sie alle viel mehr nach Zugverbindungen oder U-Bahnlinien. Dennoch verbergen sich hinter ihnen eindrucksvolle Kaffeevarietäten, die sich als Zuchtsieger durchsetzten noch bevor sie einen wohlklingenden Namen erhielten.

Die ersten Arabica-Varietäten Indiens waren „Old Chicks“, deren Namen von der Stadt Chickmagalur abgeleitet wurde. Diese wurden 1870 durch die von Stanley Jupp gezüchteten „Coorgs“ abgelöst, die eine höhere Resistenz gegenüber Kaffeerost aufwiesen. Mit immer weiter nachlassender Widerstandsfähigkeit wurden neue Varietäten nach Indien eingeführt und Kreuzungen erprobt. Zwei Varietäten kristallisierten sich als geeignet, also als „resistent mit guten geschmacklichen Eigenschaften und hohem Ertrag“ heraus: „Jackson“ und „Kent“.

Bereits im Jahre 1911 isolierte J. P. Kent auf Doddengudda Estate in der Nähe von Aldur (Mysore) eine Arabica-Linie, die später den Namen „Kent“ (gelegentlich auch als „Kents“ bezeichnet) tragen sollte. Aus der Kreuzung dieser Kent-Varietäten mit der Liberica-Hybrid-Linie „S 288“ (aus „S 26“ hervorgehend) entstand „S 795“.

Der „S 795“ - eine alte (erste Pflanzungen erfolgten in den 1940er-Jahren) und vollmundige Arabica-Varietät stammt aus Karnataka in Indien. Sie wurde dort in der Balehonnur Coffee Research Station selektiert und gilt bis heute als eine der besten Arabicavarietäten Indiens. Dort wurden über viele Generationen Kaffeepflanzen mit höherer Resistenz gegen Kaffeerost gesucht und immer nur für kurze Zeit gefunden. Ein Phänomen, das heute - vor dem Hintergrund der weltweiten klimainduzierten Kaffeerost-Epidemien - wieder aktueller denn je ist.

Heute werden resistentere Varietäten insbesondere in HdT-Linien (Hibrido de Timor) gesucht. Bekannteste Vertreter sind „Catimor“ (Caturra x HdT), „Sarchimor“ (Villa Sarchi x HdT), „Catuaí x HdT“, „Cauvery“ oder „SLN 9“. Sowohl die S-Linien als auch die HdT-Linien zählen zu den Arabicoiden und sind botanisch gesehen so von Arabica-Varietäten zu unterscheiden.

Die „S“-Linien sind die einzigen Arabicoide mit Liberica-Anteil, was ihnen eine der höchsten Resistenzen gegen Kaffeerost (über ein SH3-Gen) verschafft. Zudem bieten sie eine beeindruckende Süße und einen sehr vollen Körper.

„S 795“, die neben Indien auch in Südostasien, insbesondere in Myanmar angebaut wird, zeichnet sich durch beerige Noten mit Kakaotönen und Honigaromen aus. Häufig finden sich daher „Mokka“-Assoziationen.

Auffallend ist der ausgeprägte Körper des „S 795“ in der Tasse. Dieser rührt von der Liberia-Genetik her und ist einzigartig auch bei helleren Röstungen. Meist findet sich der „S 795“ fully washed und in den Screens 15up oder 16up. Größere Screens (18up) sind eher selten, noch rarer sind „S 795“ Perlbohnen, die ihrerseits durch die bessere Wärmeübertragung über Konduktion nochmals einen ausgeprägteren Körper bei sehr balancierten Beerentönen aufweisen.

Leider führt diese Varietät ein Schattendasein und wird zudem meist erheblich überröstet, was zu einer bitter-betonten, leicht adstringierenden Tasse führt. Die hohe Süße, die durch das aus dem Liberica-abgeleitete Rendement (Verhältnis des Gewichts der Kaffeekirschen zum Rohkaffee) entsteht, ist einzigartig.

Einige der aromatischsten, ausdrucksstärksten „S 795“-Kaffees stammen auch heute noch aus der Ursprungsregion ihrer Zucht - dies ist vor dem Hintergrund der Selektion in diesen klimatischen und topografischen Gegebenheiten nicht verwunderlich. Sicherlich tragen auch der Boden und die dort bestehende massive nächtliche Temperaturabsenkung durch tiefe Wolken eine erhebliche Rolle bei der Bildung dieser einzigartigen Flavourprofile bei.

Einer der mir bekannten wohlschmeckendsten „S 795“ stammt von Balehonnur (Badra Estates) und wird dort zumeist „fully washed“ aufbereitet. Sowohl sortenrein als auch als Cuvée mit einem Anteil von „Old Paradenia" (gerne „natural“ aufbereitet) oder auch süßreifen brasilianischen „roten Catuaí“ (indealerweise dann „pulped natural“ aufbereitet) ein Genuss sowohl in hellerer Röstung als Filterkaffee, oder gerne auch in Espressoröstung. Dabei dominieren dann dunkle Waldfrüchte mit Zartbitterschokolade und Mandeltönen. Insbesondere in der Winterzeit einer meiner favorisierten Kaffees.

Voluminös entwickelt sich der „S 795“, der „pulped natural“ aufbereitet wurde. In Indien wird dies meist als „honey process“ bezeichnet. Die ausgeprägte Süße wird dabei erwartungsgemäß nochmals verstärkt. Leider gibt es nur ausgesprochen wenig dieses Kaffees.

Der „S 795“ von Palthope Estate aus Coorg zeichnet sich im Gegensatz dazu durch hellere Beeren (Cranberries) aus, sofern er nicht zu dunkel geröstet und zu lange in der 2. und 3. Röstphase gehalten wurde. Als Espressoröstung ein wunderbar runder, balancierter Espresso in einem Cappuccino mit einem Touch „Dörrpflaume“.

Eines der verrücktesten Experimente ist ein „S 795“, der in Brasilien auf den „Fazendas Dutra“, Manhuacu (Minas da Mata) angebaut wird. Noch in kleinstem Maßstab, mit einer jährlichen Produktion von ca. 500kg. Geschmacklich zeichnet er sich - typisch für diese Varietät - mit Beerentönen aus, die allerdings mit Orangennoten und somit einer Brasilianischen Anmutung ergänzt werden. Er trägt damit deutlich indische und brasilianische Charakteristiken zu gleichen Teilen. Ein ganz einmaliges und unvergleichliches Geschmackserlebnis auch für verwöhnte Cuptaster und Kaffeeliebhaber.

Gespannt warten wir zurzeit noch auf die Entwicklung einer „S 795“-Perlbohne, die wir in einem 5 Jahre altem Martinique-Rum-Faß lagern, das zuvor noch 4 Monate mit einem Imperial Stout belegt wurde. Zeitgleich reifen wir eine weitere Charge „S 795“ von Badra Balehonnur Estate in einem Barrique, das mit einem Pinot noir belegt war. Die Süße und die Ergänzung der Beerentöne um die Karamellnoten und Traubentöne werden sicherlich beeindruckend sein.

Die Kaffees aus Myanmar sind leider häufig von schlechter Aufbereitung geprägt und weisen immer wieder Fehltöne auf - dies ist aus vielerlei Hinsicht bedauerlich. Einerseits werden dadurch für das Land Chancen auf notwendige Devisen verspielt, andererseits prägt sich dadurch auch eine qualitativ minderwertige Wahrnehmung für den von dort stammenden „S 795“.

Durch seine balancierte Ausgewogenheit von fettlöslichen und wasserlöslichen Aromen sowie der hohen (aus dem Libericagenom stammenden) Grundsüße, ist „S 795“ auch ideal geeignet für Cold Brew oder Zubereitungen als Iced coffee.

Eine viel zu unterschätze und nahezu unbekannte Varietät, die vollkommen zu Unrecht ein so unbeachtetes Dasein fristet. Vielleicht ist auch dies einer der Gründe, warum indische Kaffees von vielen weit unterschätzt werden - aber das liegt meist an fehlender Kenntnis der weiten Geschmacksvielfalt dieser Kaffees und seiner im Spezialitätenbereich exzellenten Qualität.

Es lohnt sich auf jeden Fall einmal einen hochqualitativen „S 795“ ganz bewußt zu verkosten - daher empfiehlt es sich unbedingt einmal an einer Verkostung indischer Kaffees teilzunehmen und den „Flavour of India“ kennenzulernen.